Patientenakte digital – im Siloah schon ganz normal

Foto: Dr. Daniel Reinecke mit dem digitalen Arbeitswagen für die ärztliche Visite, Krankenschwester Rinde Bulut mit dem digitalen Arbeitswagen für die Pflege,KRH Klinikum Region Hannover

Hannover – Dokumentation auf dem PC statt handbeschriebenem Papier / „Revolution auf Station“ . Wo sind die Röntgenbilder? Liegt der Bericht zur Sonographie schon vor? Steht der Operationstermin?

Wenn ein Mensch im Krankenhaus liegt, stellen sich viele Fragen. Förmlich jede Stunde aufs Neue geben ganz unterschiedliche Berufsgruppen ihr Bestes, damit es der erkrankten Person bald wieder bessergeht. Vorausgesetzt, alle wissen voneinander. Zu jeder Zeit. Überall. Die Patientenakte ist deshalb das Herzstück der Genesung.

Für sie hat am KRH Klinikum Siloah im März 2019 ein neues Zeitalter begonnen: Erstmals in Hannover verfügt ein Krankenhaus über eine vollständig digitale Patientenakte. Von der Fieberkurve bis zum Blutzucker sind nun alle Werte auf dem Computerbildschirm abzulesen.

Auch alle Befunde, Bilder sowie Pflege- und Medikamenten-Anordnungen sind dort abrufbar. „Niemand muss mehr den papiergebundenen Dokumenten hinterherlaufen“, umschreibt Prof. Dr. Andreas Franke, Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Rhythmologie und internistische Intensivmedizin, einen der wichtigsten Vorteile der Digitalisierung. Alles ist sofort und überall verfügbar. „Für jeden, der mit der Pflege und Behandlung in diesem Moment zu tun hat.“

 

Keine krakelige Handschrift mehr

An die Stelle überquellender Papierordner „mit zum Teil krakeliger Handschrift“ sind nun Computer auf Rädern gerückt: Pro Station stehen drei „Mobidok“-Wagen für das Pflegepersonal bereit sowie zwei weitere für die ärztlichen Kollegen. Auf den Bildschirmen sind nicht nur alle patientenrelevanten Informationen ablesbar, diese können an den Wagen auch eingegeben werden. Der Name ist Programm: „Mobidok“ steht für „mobile Dokumentation“. Wurde ein Medikament bereits gegeben? Gibt es ein neues Detail für die Physiotherapie? Für wen liegt die Betreuungsvollmacht vor? Gab es im Vorfeld Komplikationen – und wie wurden sie gelöst?

Alle Antworten sind dort nachvollziehbar: Ob auf dem Computer-Wagen oder den kleineren mobilen Endgeräten des medizinischen Personals wie Smartphone oder Tablet, ob für das medizinische Personal oder auch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Der Startschuss für das KRH Klinikum Siloah im März 2019 hatte einen so langen wie sorgfältigen Vorlauf, der noch vor dem Neubau des Stadtkrankenhauses begann: „Noch im alten Siloah gab es die Idee der digitalen Patientenakte“, berichtet Ulrike Alberg. Die heutige Pflegebereichsleiterin führte seinerzeit die Station 33 in der kardiologischen Klinik. „Ich hatte damals schon vieles pilotiert und da andere Stationen plötzlich ausfielen für das Projekt, hob ich den Finger.“

Der Siloah-Neubau an der Stadionbrücke und der damit verbundene Umzug erfüllte die Theorie mit gelebter Praxis. Schritt für Schritt setzte das Team um Prof. Dr. Franke und Ulrike Alberg den Prozess der Digitalisierung um, an dessen Ende stets der Traum vom papierlosen Krankenhaus stand. Die „B4“, wie die frühere Station 33 nun im Neubau heißen sollte, entwickelte sich über vier Jahre zur wegweisenden „Beta“-Station für alles, was künftiger Standard auch im gesamten Klinikverbund des KRH werden soll.

Nach dem „Ausrollen“ der digitalen Patientenakte auf fast alle Bereiche des KRH Klinikums Siloah (nur die Intensivstation und der Operationsbereich sind ausgenommen) stellen auch die übrigen KRH-Krankenhäuser jetzt Schritt für Schritt auf die digitale Patientenakte um.

 

Das Team ist der Gewinner

Gelingen konnte all dies nur im Team, wie Prof. Dr. Franke betont. „Wir haben hier alle betroffenen Berufsgruppen an einen Tisch geholt und gemeinsam entwickelt, was wir brauchen, wie das Programm funktionieren soll und – vor allem – wie wir unsere Mitarbeiter darin schulen werden.“

„Natürlich hat nicht jeder die gleiche Affinität für Computer“, räumt Detlef Pfeiffer ein. Er ist heute Stationsleiter auf der B4 und zollt im Rückblick insbesondere jenen im Team hohen Respekt, die zunächst keinen so einfachen Zugang zur Digitalisierung fanden. „Wir haben aber immer versucht alle da abzuholen, wo sie standen.“ Gelungen sei dies letztlich, „weil wir die Vorteile des Systems immer und immer wieder vor Augen führen konnten“, sagt Pfeiffer. Dazu zählt auch der Wegfall vieler doppelter Schreibarbeiten, wie dem Übertrag aller Daten von einem gefüllten Dokumentationsbogen auf den nächsten.

„Beim Start haben wir alle verschiedene Sprachen gesprochen“, erinnert sich Gabriele Grahn, die für den IT-Bereich das Projekt leitet. „Letztlich aber haben wir uns alle hervorragend verstanden.“ Ihre IT-Kollegin Odamarie Landmesser kann dies als Fachadministratorin für „Smart Medication“ nur unterstreichen. „Das ganze Projekt lebt von der interdisziplinären Zusammenarbeit.“ Dabei ist die Reise noch nicht zu Ende. Im Sommer halten weitere neue Untersuchungsgeräte Einzug, die ihre Ergebnisse direkt ins System übertragen. „Das gilt für den Blutdruck beispielsweise oder andere Vitalwerte wie Puls oder auch den Sauerstoffgehalt“, erläutert Alberg. Dass dies dann nicht mehr extra eingetragen werden muss, sei eine außerordentliche Zeitersparnis, betont Alberg. „Darüber hinaus bedeutet die Digitalisierung vor allem eine erhöhte Sicherheit für die Patienten“, ergänzt Prof. Dr. Franke.

 Direkte Verbindung zur Zentralapotheke

Dies kann Kirsten Paul nur unterstreichen. Die Stationsapothekerin gehört zu einem Dreier-Team. Gemeinsam betreuen sie die Stationen des Krankenhauses und stehen im Alltag bei der Abstimmung der Arzneien und ihrer Dosierung dem Pflegepersonal und den ärztlichen Kollegen zur Seite. „Über das System existiert eine direkte Verbindung zur Zentralapotheke des KRH-Verbundes“, betont Paul. „Damit ist gesichert, dass alle gelisteten Medikamente umgehend zur Verfügung gestellt werden können.“

Sollte sich bei der Aufnahme eines Patienten herausstellen, dass eine verordnete Arznei nicht gelistet ist, oder ein Arzt einmal ein nicht aufgeführtes Medikament wählen, kann das Präparat durch den unmittelbaren Austausch zeitnah bestellt werden. Auch die exakte Dosierung bis hin zur Bestätigung, dass das Medikament auch wirklich verabreicht worden ist, nimmt die digitale Patientenakte auf.

Startschuss in der Notaufnahme

All die Vorteile auf Station offenbaren sich in ihrer Reichweite erst, seitdem auch die Zentral- sowie die Notaufnahme in das digitale System integriert sind. „Ein Gutteil der Arbeit ist zu uns vorgelagert worden“, sagt Dr. Christian Dudel, Sprecher der Fachgruppe Notfallmedizin im KRH-Verbund. Denn die digitale Akte eines jeden Patienten wird dort überhaupt erst angelegt. „Auch alle mitgebrachten Befunde werden hier eingescannt.“ Um diese Mehrarbeit aufzufangen, arbeitet die Notaufnahme als erste Abteilung im KRH Klinikum Siloah mit einer digitalen Spracherkennung beim Diktat der Befunde.

Überdies ist auf dem Computerbildschirm mit einem Farbsystem exakt zu erkennen, wo sich welcher Patient zur Minute befindet. „Wir können sehen, wie schwerwiegend sein Fall ist, ob die Person bereits ärztlich untersucht wurde und welche Anordnungen nun folgen“, betont Dr. Dudel.

Vieles hat sich verändert im Alltag am Siloah – darunter auch die Herkunft der Besuchergruppen: „Wir waren von Anfang an eng mit dem Hersteller des Systems bei dessen Aufbau verbunden“, betont Landmesser. Heute zählt das KRH Klinikum Siloah damit nicht nur zu Deutschlands Spitzengruppe der digitalisierten Krankenhäuser. „Da wir offiziell Referenzhaus für den Hersteller sind“, hält die Fachadministratorin mit einem Schmunzeln fest, „bekommen wir jetzt nicht nur Besuch aus den anderen KRH-Häusern, die sich schon einmal informieren, sondern auch aus Thailand oder Argentinien.“

Hintergrund Datenschutz: Doppelt hält besser

Die digitale Patientenakte ist umfassend gesichert, sagt Dr. Volker Hüsken, Bereichsleiter der Informationstechnologie am KRH Klinikum Region Hannover. Sämtliche Daten liegen auf zwei getrennten Rechenzentren. Auf sie dürfen nur autorisierte Personen von registrierten Endgeräten zugreifen. Ist einer der „Mobidok“-Computer über wenige Minuten inaktiv, müssen sich Mitglieder des jeweils befugten Teams erneut autorisieren. Auf dem Endgerät selbst sind keine Daten gespeichert, ein Diebstahl ermögliche damit keinen Zugriff.

Sollten tatsächlich einmal beide Großrechenzentren zeitgleich ausfallen, liegen auf stationären Rechnern im Krankenhaus Notfallakten als Dateien mit den wichtigsten Details des Patienten. Sie werden zwei Mal pro Tag aktualisiert

HCN/ar