Auf Zeitreise: Michael Brown besucht Ahlem und erinnert sich

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Hannover – Der 22. August 1939 ist für Michael Brown ein Datum, das sein ganzes Leben veränderte: An diesem Tag vor genau 80 Jahren verließ der damals neunjährige Junge mit seiner drei Jahre jüngeren Schwester Hannah kurz vor Kriegsausbruch sein Zuhause in der Brühlstraße 7 in Hannover und reiste mit einem Kindertransport nach England.

Dort wuchsen die Geschwister in zwei verschiedenen Pflegefamilien auf. Ihre Eltern retten die beiden Kinder auf diese Weise vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Sie selbst wurden mit dem ersten von Hannover abgehenden Transport in das Ghetto Riga deportiert und kamen ums Leben.

Gegenwärtig ist der heute 89-jährige Michael Brown in Hannover zu Gast und besucht mit seinem Sohn Conrad und dessen Familie die Orte seiner Kindheit. Auch die Gedenkstätte Ahlem ist eine Station seiner Reise.

„Michael Brown ist zum wiederholten Mal in Ahlem zu Gast und wir freuen uns sehr, dass er die Gedenkstätte als einen Ort auch seiner persönlichen Erinnerungen besucht“, so Stefanie Burmeister, Leiterin der Gedenkstätte Ahlem.

„So gelingt es uns, das Bewusstsein für die Geschichte lebendig zu halten und das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus mithilfe von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen immer wieder aufs Neue ins Gedächtnis zu rufen.“

Diesen Blick teilt auch Michael Brown: „Die Gedenkstätte Ahlem hat mir gezeigt, wie aufrichtig sich die Deutschen an ihre dunkle Vergangenheit erinnern, um ein besseres Land und Vorbild für eine bessere Welt zu werden.“

Von Hannover aus wird Michael Brown mit seinem Sohn Conrad, dessen Ehefrau Nicole und deren beiden Töchtern Maddy und Jemima eine besondere Zeitreise antreten, um den Kindertransport von 1939 Revue passieren zu lassen:

Mit dem Zug geht es nach Hoek van Holland und von dort mit der Fähre nach Harwich, um dann mit dem Zug nach London zu fahren, Browns heutiger Heimatstadt – er nimmt dabei dieselbe Route per Schiff und auf der Schiene wie damals im August 1939.

„Ich kann mich nur noch an wenige Eindrücke von meiner Fahrt vor 80 Jahren erinnern, daher möchte ich die Reise in meine heutige Heimat aufs Neue erleben“, berichtet Brown.

„Damals habe ich dieses Land als Flüchtling verlassen, heute kann ich den Umstand feiern, dass ich ein freies und tolerantes demokratisches Land verlasse, um in ein anderes zu reisen.“

Brown sieht darin auch einen Tribut an seine Eltern, die ihre Kinder damals selbstlos völlig fremden Menschen überlassen und sehr darunter gelitten haben, sie für immer zu verlieren. „Meine Gedanken werden immer bei ihnen und dem schrecklichen Schicksal sein, das sie erlitten haben.“

Zur Person

Michael Brown wurde am 24. Juli 1930 als Franz Michael Schlesinger in Breslau geboren. Im Juli 1938 zog er mit seiner Familie nach Hannover und wohnte hier in der Brühlstraße 7. Seine Eltern Betty und Martin planten die gemeinsame Auswanderung.

Doch nur Michael und seine Schwester Hannah konnten Deutschland noch kurz vor Kriegsausbruch im August 1939 mit einem Kindertransport Richtung England verlassen.

Seine Eltern sollte er nie wiedersehen: Sie wurden am 15. Dezember 1941 mit dem ersten von Hannover abgehenden Transport in das Ghetto Riga deportiert.

Beide kamen um. In England wurden die Geschwister getrennt und wuchsen in zwei verschiedenen Pflegefamilien auf. Michael und Hannah änderten ihren Nachnamen, indem sie den Geburtsnamen der Mutter anglisierten.

Seine vollständigen Erinnerungen sind 2017 unter dem Titel „Es war eine recht unruhige Reise. Von Franz Michael Schlesinger zu Michael Brown“ als Sonderedition Band 5 in der Schriftenreihe der Gedenkstätte Ahlem erschienen.

Michael Brown, seit Ende der 1940er Jahre britischer Staatsbürger, erinnert sich darin an die traumatischen frühen Jahre, an die Trennung von seinen Eltern.

Er berichtet aber auch von der Annäherung an das Leben in einem fremden Land, in dem er in einer fürsorglichen Pflegefamilie aufwuchs. Seine Erzählung reicht bis in die Gegenwart.

Nach seiner Pensionierung war Michael Brown 1995 erstmalig eingeladen, in das Land seiner frühen Kindheit zurückzukehren. Weitere Besuche, auch zur Neueröffnung der Gedenkstätte Ahlem im Juli 2014, folgten. Auch daran erinnert sich Michael Brown in diesem Buch.

HCN/kk